Haftarbeit

Die Gesundheit von Menschen in Haft ist strukturell mehr gefährdet

Gefangene in deutschen Gefängnissen sind deutlich häufiger mit HIV und/oder Hepatitis infiziert als Menschen in der Allgemeinbevölkerung. Bei etwa 14-21% der Gefangenen war/ist eine Hepatitis C-Infektion nachweisbar, was einem etwa 30-fach höheren Infektionsrisiko als in Freiheit entspricht. Mindestens 20-fach höher ist auch ihr HIV-Risiko: etwa 1% der Gefangenen ist mit dem HI-Virus infiziert.

Beratung und Prävention im Strafvollzug zu leisten ist daher von großer Bedeutung. Zunächst einmal für die Gesundheit der Gefangenen. Diese befinden sich aber zumeist nur über einen begrenzten Zeitraum in Haft und kehren von dort in die Gesellschaft zurück. Eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Menschen in Haft ist also auch ein Dienst für die öffentliche Gesundheit.

Die AIDS-Hilfe Thüringen leistet Haftarbeit in der JVA Tonna.
Zur Zielgruppe dieser Arbeit gehören:

  • vorwiegend männliche Gefangene im Alter von ca. 20-60 Jahren
  • mit hetero-, homo- oder bi-sexueller Orientierung bzw. Trans*- oder Inter-Identität
  • mit oder ohne (bekannte) HIV-, HBV-, HCV- oder einer anderen STI-Infektion,
  • die durch ihre (unter den Haftbedingungen mögliche) gelebte Sexualität gefährdet sind
  • und/oder intravenös Drogen konsumieren

Beratungsgespräche mit Gefangenen

Auf Anfrage der Gefangenen führen wir mit diesen Beratungsgespräche in der JVA.
Neben der Beratung besteht die Option, sich auch auf HIV & Syphilis testen zu lassen.
Die Gesprächsinhalte unterliegen der Schweigepflicht, soweit wir nicht explizit davon entbunden werden oder eine gesetzliche Regelung oder gerichtliche Anordnung uns zur Offenlegung verpflichtet.

In den Gesprächen kommen zunächst oft medizinische Themen zur Sprache, z. B.

  • Fragen zu HIV/AIDS und anderen STI
  • mögliche Symptome, Übertragungswege, risikante Verhaltensweisen
  • Infektionsverlauf und antiretrovirale Behandlung
  • Schutzmöglichkeiten (Safer Sex, PreP, PEP, Impfungen)
  • Safer Use: möglichst risikoarmer Substanzkonsum

Wir beraten aber auch im Kontext komplexer sozialer, emotionaler und psychosexueller Fragen, z. B.

  • bei psychosexuellen Belastungen & Konflikte
  • bei Fragen zur sexuellen Orientierung/Präferenz/Identität
  • bei Konflikten mit dem Selbst- bzw. Geschlechterrollenbild
  • bei Konflikten infolge der bisherigen Lebensführung
  • bei Problemen in der Partnerschaft
  • bei drohendem Wohnungsverlust
  • bei drohender Diskriminierung nach der Haftentlassung
  • Coming-Out-Beratung (soziale Konsequenzen,
    z. B. Ängste vor Übergriffen und Kontaktabbrüchen)

Ziel der Gespräche ist die Integration der eigenen Sexualität und die Entwicklung einer tragfähigen Perspektive für die Zeit nach der Haft.

Fortbildungsangebot für Justiz-Bedienstete

Da Gefangene ein deutlich höheres Risiko für HIV und andere STI haben, kann es unter Justiz-Bediensteten zu Infektionsängsten, Handlungsunsicherheiten und auch zu diskriminierendem Verhalten kommen.

Im Rahmen von Fortbildungsseminaren mit Bediensteten vermitteln wir deshalb

  • Basiswissen zu HIV, Syphilis und Hepatitis
  • Informationen zu (un)möglichen Infektionswegen
  • eine realistische Einschätzung von Infektionsrisiken
  • Strategien zum Selbstschutz (Infektionsprophylaxe)

Außerdem erhalten die Teilnehmenden Gelegenheit, sich über ihre Handlungspraxis, persönliche Erfahrungen oder auch Unsicherheiten und Infektionsängste auszutauschen. Durch die Kenntnis tatsächlicher Risikodimensionen und -kontexte können sie Handlungssicherheit für den täglichen Vollzugsdienst gewinnen. Sensibilisierung und Qualifizierung bilden somit die Grundlage für einen diskriminierungssensiblen und gesundheitsförderlichen Umgang zwischen Gefangenen und Justizpersonal.